Erlebnisort als Ergänzung zum Schulalltag

Auf diesen Reisen lernen alle

Wie ergänzt der Erlebnislernort Jugendherberge den Bildungsort Schule? Tia Westermann, Bildungsreferentin des DJH Landesverbands Bayern im Gespräch mit der Lehrerin Caro Müller und ihrem Schüler Tobias Landmann.

Die Jugendherberge als außerschulischer Lernort: Was kann man sich unter diesem Konzept vorstellen?

Tia Westermann: Die Jugendherberge soll Raum bieten für unterstützendes Lernen zum theoretischen Unterricht, vor allem Lernen durch Erfahrungen und Erlebnisse in der Gemeinschaft. Zum Beispiel das Erkunden der Natur als Erweiterung des Bio-Unterrichts. In der Jugendherberge vor Ort können die Schüler einfach in den Wald gehen und die Sachen selbst erkunden und erforschen. Das gesunde Gleichgewicht von Theorie und Praxis ist ein ganz, ganz wichtiger Teil des gesamten Bildungskonzeptes sowohl der Jugendherbergen als auch der Schulen.

Caro Müller: Ich finde auch den Faktor Zeit sehr wichtig. Am Gymnasium habe ich ja als Fachlehrer die Klasse nur zwei Stunden in der Woche. Wenn ich aber jetzt mit den Schülern eine ganze Woche in der Jugendherberge bin, dann kann ich einfach sehr viel Zeit aufwenden. Die Schüler können sehr viel kreativer arbeiten. Man ist nicht in das Raster wie in der Schule reingepresst. Man hat einfach viel mehr Raum und wenn es abends später wird, dann ist man in der Früh ein bisschen müde und das stört auch nicht. Es sind ja keine Klausuren und man wird nicht rausgerissen und muss nach 45 Minuten von Englisch auf Latein switchen und dann wieder auf Mathe und hat danach auch nicht noch eine Dreiviertelstunde Biologie. 

Tia Westermann: Genauso entscheidend finde ich die Stärkung der zwischenmenschlichen Beziehungen; von den Schülern zum Lehrer, aber auch vom Lehrer zum Schüler. Man kann sich in einer Jugendherberge ganz anders kennenlernen und sieht, wie Schüler, die im Unterricht nicht wirklich mitmachen wollen oder keine Lust haben, bei bestimmten Themen total aufblühen.

Tia Westermann pflegt als Bildungsreferentin einen engen Austausch mit Lehrerinnen und Lehrern.

Bildungsexperten unter sich: Lehrerin Caro Müller, ihr Schüler Tobias Landmann und Tia Westermann, Bildungsreferentin der Bayerischen Jugendherbergen (von links).

Tobias, wie erlebst du das als Schüler? Du spielst ja Posaune in der Big Band Eurer Schule und verbringst Musikprobentage in der Jugendherberge …

Tobias Landmann: Wenn ich sonst Freitagnachmittag mit der Big Band probe, bin ich schon ein bisschen vorangestrengt, weil ich ja vorher eine Doppelstunde Mathe und eine Doppelstunde Religion hatte. Bei den Musikprobentagen ist der größte Gewinn, dass man unbegrenzt Zeit hat, sich mit einem Thema zu beschäftigen. Im vergangenen Jahr waren sieben aus meinem Abitur-Jahrgang dabei und wir haben zusammen geprobt. Das hat riesigen Spaß gemacht und ging auch mal bis zwei Uhr morgens. Total krass, was wir für Fortschritte gemacht haben! Ich war in der neunten Klasse zum ersten Mal bei Probentagen in der Jugendherberge dabei und davor war ich ein total fauler Posaunist. Inzwischen ist daraus eine Leidenschaft geworden und das schreibe ich gerade diesen Probentagen zu.

Spürt man als Lehrer eine Stärkung des Klassenzusammenhalts durch den Aufenthalt in der Jugendherberge?

Caro Müller: Also man merkt das auf allen Ebenen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich mit einer Klasse, mit der ich unterwegs war, später niemals Probleme im Unterricht hatte. Natürlich gibt es irgendwo einmal ein Missverständnis mit Schülern, aber das lässt sich klären, weil die Beziehung ganz, ganz anders ist. Und alle lernen viel auf diesen Reisen: Die Schüler merken gar nicht, dass das jetzt im Grunde eine Art Unterricht ist und Wissen vermittelt wird.

Tia Westermann: Der Lehrer wird als Teil der Gruppe wahrgenommen. Er ist nicht mehr nur eine reine Aufsichtsperson und die Schüler sind die Kleinen. Das verschmilzt irgendwie, und die Lehrer werden ganz anders wahrgenommen.

Wie findet man im breiten Angebot der Jugendherbergen denn das passende Programm für die jeweilige Klasse?

Tia Westermann: Gerade für die weiterführenden Schulen stellen wir uns vor, dass die Lehrkraft weiß, in welche Richtung die Fahrt gehen soll und wir gemeinsam etwas zusammenstellen. Für die Grundschulen haben wir Wochenprogramme für die Lehrkraft mit speziellen Themenschwerpunkten erstellt – zum Beispiel zum Thema Wald. Es ist uns ein großes Anliegen, dass man die im schulischen Alltag vermittelten Inhalte erlebbar macht. Oder auch auf die speziellen Bedürfnisse von Inklusionsklassen eingeht, denn das ist nicht nur in unseren speziellen Inklusions-Jugendherbergen ein wichtiges Thema.

Was für schulische Themen sind für die praktische Vertiefung in den Jugendherbergen besonders geeignet?

Tia Westermann: Gerade Themen wie Naturkunde, Heimat- und Sachunterricht, fächerübergreifenden Kompetenzen, soziales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung werden bei uns großgeschrieben. Das sind alles Themen, die vielleicht im Unterricht nicht so leicht und nicht so intensiv behandelt, aber dann in der Jugendherberge erlebt werden können. Unsere Jugendherbergen haben verschiedene Schwerpunkte wie Sport oder Kultur mit dementsprechenden Experten. Wichtig ist die vorherige Absprache mit der Lehrkraft. So weiß man einfach, auf welchem Leistungsstand die Schüler gerade sind und welche unserer Programme wirklich zu den Inhalten der Lehrpläne passen, an denen wir uns übrigens bei der Entwicklung der Bausteine orientieren.

Caro Müller: Wenn ich eine Klasse als Geschichtslehrer habe und möchte etwas Geschichtliches als Schwerpunkt nehmen, dann fahre ich entweder nach Nürnberg oder nach Regensburg, weil die Städte historisch eine Menge bieten – und eben auch die Jugendherbergen dort. Dann rufe ich in der Jugendherberge an oder schaue auf die Homepage, welche Bausteine angeboten werden. Wenn ich einen ökologischen Schwerpunkt habe, dann würde ich zum Beispiel nach Garmisch oder Oberammergau fahren, die einen Alpinen Studienplatz haben.

Schüler Tobias Landmann und Tia Westermann haben bleibende Erinnerungen an Aufenthalte in Jugendherbergen.

Die Jugendherbergen bieten auch Lehrgänge für Lehrkräfte an.
Worum geht es dabei genau?

Tia Westermann: Hintergrund dieser Lehrgänge ist, dass Lehrer einmal eine Wanderung mit Schülern unternommen haben und es dabei ein tragisches Unglück gab. Daraufhin hat das Kultusministerium festgelegt, dass Lehrer in dem Bereich fortgebildet werden müssen. Wie verhalte ich mich? Wie organisiere ich so etwas? Welche rechtlichen Dinge sind zu beachten? Die Lehrgänge heißen seit ein paar Jahren ‚Schule unterwegs‘. Dazu gibt es noch die Education Family als interaktives Forum für Lehrkräfte zum Austausch von Informationen für Klassenfahrten.

Inzwischen gibt es auch eine Facebook-Gruppe, in der Lehrer miteinander in Kontakt treten …

Tia Westermann: Die wird gut genutzt. Momentan sind circa 7.500 Lehrer registriert, die sich austauschen und einfach schnelle Hilfe leisten, wenn jemand Fragen hat oder nicht weiterweiß – übrigens inzwischen nicht nur, wenn es um Planungen von Klassenfahrten geht. Die Gruppe ist ein echter Austauschkanal zwischen Lehrern für alle möglichen Themen geworden.